Kinder-Essen

Es ist Sonntag. Sonntag vormittag – und ich befinde mich gerade daheim. Daheim meint, im Haus meiner Eltern. Im Lauf der letzten Woche habe ich entschieden, dass ein bisschen Heimatluft meinem Gemüt vielleicht ganz gut tun würde. Darum habe ich mich am Freitag zum Feierabend trotz Kyrill oder seinem Nachfolger für 3 Stunden auf die Autobahn begeben und bin gen Rheinland gerollt.

So ein Wochenende zu Hause entbindet mich von dem Zwang selbiges mit Einkaufen, Putzen oder Ablage von div. Schreiben zu verbringen und lockt daher mit scheinbar mehr faul verbrachter Freizeit. Andererseits endet es immer schon früh, nämlich gegen 17:30 Uhr am Sonntag, wenn ich mich wiederum in mein mausgraues Auto setze um rechtzeitig zum Abendprogramm wieder in meiner norddeutschen Wahlheimat einzutreffen.
Wochenenden, die früh so enden, pflegen bei mir gleich Sonntags nach dem Aufstehen mit einer kleinen Wochenend-End-Depression zu beginnen, weshalb ich meist eine Zeit brauche, um zu Normalform aufzulaufen. So auch heute. Inzwischen bin ich allerdings schon ein bisschen besänftigt. Ich habe lange heiß geduscht, was bei mir ein Allerheilmittel darstellt – so wie bei anderen eine Tasse Tee.

Jetzt zieht ein Duft von Mittagessen durch das Haus, der mich mit leiser Nostalgie erfüllt. Heute gibt es ein echtes Kinderessen. Hühnerragout mit Reis und Erbsen-und-Möhren-Gemüse. Dazu – wie immer – selbst gemachten Apfelkompott in der kurz-vor- Mus-Konsistenz. Obwohl sicherlich nicht der Haute-Cuisine angehörend, gehört das doch zu den Speisen, die ich immer schon gemocht habe und auch heute noch gerne esse. Da kommen Erinnerungen auf an eine Zeit, in der ich noch in der Lage war, vollständig in einer Welt zu versinken, die bevölkert war von Sam Hawkins, Winnetou und Old Shatterhand, durch die quietschend meine Lego-Eisenbahn fuhr und in der ich regelmäßig mein Steckenpferd bestieg um “auszureiten”. Seltsam, was so ein Duft oder die Vorfreude auf ein bestimmtes Im-Mund-Gefühl auslösen können.

Zwei Fragen kommen mir dabei allerdings. Wieso kann ich heute an freien Tagen nicht mehr so “versinken” … in Büchern, Musik oder Hobbies? Und Außerdem: Gibt es bei Ihnen auch Gerichte, die bei Ihnen direkt Erinnerungen an Kinderzeiten auslösen? Gute oder schlechte .. an Oma und Opa oder an die Eltern? Gibt es bei Ihnen Gerichte, mit denen man Sie als Kind gequält hat und die Sie deshalb noch immer nicht runterbekommen?
Bitte erzählen Sie mir doch davon – oder anders ausgedrückt: Her mit den Geschichten ! Ich sterbe vor Neugier!

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Angriff der Killernagelschere

Es ist wieder passiert. Blut ist geflossen.
Wer mich kennt weiß, dass mir ein ums andere Mal ein Mißgeschick mit scharfen oder spitzen Dingen passiert. Das liegt jedoch mitnichten daran, dass ich mich ungeschickt anstelle. Vielmehr ist ein gewisses Eigenleben die Ursache, das der scheinbar so unbelebten Materie, die mit mir zusammenwohnt, innewohnt.

Gestern abend setzte eine eigentlich sicher auf der Ablage im Bad schlummernde Nagelschere unvermittelt zum Sink- nein Sturzflug an. Der Flug war kurz, die Landung sauber. Sie (die Schere) steckte Spitze vorweg in meinem großen Zeh. Der kleine Kratzer entwickelte ein großes Geltungsbewußtsein und tropfte ungeheuerlich. So bin ich mit einem in Klopapier gewickelten großen Zeh durch die Wohnung gehüpft, auf der Suche nach Pflaster, welches sich natürlich rechtzeitig vor mir in Sicherheit gebracht hatte. Schließlich habe ich es in einer Box in der Küche ausfindig gemacht. Hierhin muss es sich nach dem Angriff des Kochmessers und der darauf folgenden Verarztung meines Zeigefingers, zurückgezogen haben.

Auch gegen mein Bett und mein Sofa bin ich machtlos. Beide fallen mich recht regelmäßig an, klammern sich an mich und schläfern mich ein. Vielleicht ist gegen mich eine Meuterei im Gange.
Auf der Suche nach neutral gestimmter Materie, habe ich heute das Nachhausekommen so weit es ging hinausgezögert und einen Umweg über die Sauna gemacht. Allerdings drängt sich mir nach dem heutigen Besuch der Verdacht auf, dass die Liegen im Ruhebereich eine unheilvolle Allianz eingegangen sein könnten.

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Nur geträumt

Ich betrete ein großes altes Haus. Es ist leer und dunkel. Unbewohnt. Fensterspalte lassen nur wenig Licht hinein. Es gibt keine Zimmer, nur Hallen und Treppen. Unendlich viele Treppen. Kaum eingetreten, weiß ich bereits nicht mehr, wie ich wieder hinausfinde. Die Tür, durch die ich hineingekommen bin, führt nun in ein andere Halle aber nicht mehr hinaus.

Ich beginne, auf der Suche nach einem Ausgang die Treppen hinaufzusteigen. Ich steige hoch und höher, Stufe um Stufe über eine ausgetretene, staubig-graue Steintreppe. Die Stiegen scheinen endlos. Schon bald beschleunigt sich der Schlag meines Herzens, es pumpt vor Anstrengung und schlägt hart gegen meine Brust. Unten schlägt eine Tür zu, ich höre Schritte. Außer mir ist noch jemand hier.

Ich gehe schneller, mit einem klammen Gefühl im Bauch. Die Schritte scheinen mir zu folgen und ich beginne, Haken zu schlagen. Biege ab, durch eine Tür zur Linken, haste eine hölzerne Treppe hinauf. Treffe auf eine weitere Tür, gehe hindurch und laufe durch ein ovales steinernes Treppenhaus weiter nach oben. Die Schritte sind immer noch hinter mir her – ich kann sie nun auf der Holztreppe hören. Die Treppe unter meinen Füßen wird immer schmaler und wendelt sich enger und enger nach oben. Meine Schritte hallen durch das Haus. Ich drücke mich im Laufen an die äußere Wand, um von unten nicht zu sehen zu sein. Durch das Treppenauge fällt staubgefiltert eine schmale Lichtsäule. Oben muss ein zentrales Fenster sein. Ein Ausgang?

Die Stufen in diesem Turm sind inzwischen so schmal, dass ich nur noch alleine darauf Platz habe. Immer höher klettere ich, immer herum um die Mitte. Ich habe aufgehört die Umdrehungen zu zählen, als vor mir eine eisenbeschlagene Tür auftaucht. Über der Tür ist ein ovales Oberlicht, durch dass ein Stückchen Himmel zu sehen ist. Hier muss ein Ausgang sein.

Die Klinke lässt sich leicht herunter drücken, was ich nicht erwartet habe. Ein kühler Windstoß weht mir entgegen, als ich hinaus auf eine Turmplattform trete. Ein hüfthohes steinernes Geländer verläuft entlang der Kante. Unter mir breitet sich die große Stadt aus. Die Sicht ist gut, ich kann weit den Fluß hinabsehen, bis zur Hügelkette am Horizont. In der Dämmerung glitzern erste Lichter entlang der großen Straßen. Ich lehne mich an das Geländer und atme tief durch. Den Pullover enger um mich ziehend, blicke ich mich um. Plötzlich bin ich sehr ruhig. Irgendetwas gibt mir das Gefühl angekommen zu sein. Wer auch immer mir gefolgt ist, er ist willkommen. Willkommen, diesen Ausblick mit mir zu teilen.

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Mal was für’s Kind im Blogger

Dieser Text entstand vor einigen Jahren während eines Schreibtreffens mit Kommillitonen und unter dem Einfluß von einigen Gläsern Gerstenkaltschale. Albernheiten sind also zu entschuldigen. Fehlende Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und von der Autorin nicht beabsichtigt.

“Männer sind behaart und haben Muskeln.”Diesen Spruch gab Gustavs Oma immer zum Besten, wenn sie abends wieder einmal zu tief in ihr Gläschen Kräuterlikör geblickt hatte. Sie warf dann immer einen verträumten Blick auf das Photo meines Großvaters, welches über dem Plüschsofa an der Wand hing. Gustav und Lene rollten sich dann in ihren Sesseln zusammen und warteten auf die Geschichte, die nun folgen würde. Sie hatten sie schon so oft gehört. Aber da auf dem Tisch immer eine Schachtel mit Keksen stand, wurde es nie langweilig.

Damals als ich Euren Großvater kennenlernte, hatte ich mich gerade mit einem Trupp Zigeuner angefreundet und war ein Stück weit mit ihnen in die Welt gezogen. Opa war gelernter Planwagenschreiner aber er nagelte meist nur die geblümten Stoffbahnen, die sich bei der Fahrt über Stock und Stein gelöst hatten wieder fest. Ihn plagte immer ein furchtbares Fernweh und obwohl er schon so viel herumzog dachte er nur an andere ferne Länder.

Während der Tage in denen wir uns der Küste näherten, wurde er immer unruhiger und unruhiger. Abends am Lagerfeuer fragte er mich dann, ob ich mit ihm ein Boot besteigen und wegsegeln wolle. Ach, ich wäre überall mit ihm hingegangen! Wir luden also seinen wunderschönen Wagen auf ein Schiff und segelten los. Angst hatte ich nie. Er war ja soo stark! Als wir am Abend des zweiten Tages auf eine Insel zusteuerten, beschlossen wir an Land zu gehen. Wir waren beide ein bißchen seekrank. Am Strand gelandet, setzte ich mich in den Sand während Großvater ein Feuer machte und uns eine Pfanne voll Fischstäbchen briet. Die dufteten unwiderstehlich und hüpften auch ein bißchen in der Pfanne herum. Wir schaute ihnen dabei zu und es lief uns das Wasser im Mund zusammen.

Plötzlich fuhr eine kleine schwarze Pfote in die Pfanne. Vor uns saß ein Kater und hangelte hungrig nach den zuckenden Fischstäbchen. Ich fand ihn richtig süß, doch Euer Großvater schrie laut auf und fiel wie ein nasser Sack in sich zusammen. Ich schaute verständnislos drein. Dieser starke Mann, der doch sonst vor nichts Angst hatte fürchtete sich vor einer Katze? Da sprach mich der Kater plötzlich an. „Wundere Dich nicht”, sagte er. „Ich glaube Dein Freund schielt. Auf solche Leute habe ich immer eine besondere Wirkung. Ich bin nämlich ein Scheinlöwe.”
Scheinlöwe! Das war ja wohl das Dümmste, was ich in meinem Leben je gehört hatte. Doch ich versuchte nun, meine Nasenspitze zu betrachten während ich den Kopf in seine Richtung wandte. Tatsächlich, auch ich zuckte zusammen. Vor mir schien ein riesengroßer Löwe mit einer zotteligen schwarzen Mähne zu sitzen und Euer Großvater wirkte aus dieser Perspektive wie ein ziemlich dünnes Hemd. Na sowas! Als ich wieder geradeaus gucken konnte bemerkte ich, daß der Kater bitterlich weinte. „Keiner mag mich”, schluchzte er und sprang auf meinen Schoß. Ich kraulte ihm sanft den Kopf, wobei Großvater erneut in Ohnmacht fiel. „Seit Ewigkeiten sitze ich auf dieser Insel fest, weil alle so große Angst vor mir haben.” Ich beschloß ihn mitzunehmen, weil mir das Am-Kopf-Kraulen allmählich Spaß machte und er so nett dabei schnurrte (das konnte Euer Großvater nämlich nicht). Mein schielender Lebensgefährte wurde in die Tatsachen eingeweiht und ich versprach ihm, daß ich ihm eine Brille kaufen würde. Wir nahmen Leo Löwenherz – wie wir ihn tauften -mit auf unser Schiff und ließen ihn in unserem Wagen wohnen, wo er alsbald anfing, Gedichte zu schreiben. Ich hatte mir geschworen auch nie mehr zu schielen, Euer Großvater gefiel mir doch viel besser als Mann mit Format.

Wir segelten nun zu dritt über die Ozeane, die uns unter den Bug kamen und gingen oft an Land, um uns an den Strand zu legen und in der Sonne zu brutzeln. Leo trug immer einen Schirm mit sich, um sich nicht das Fell zu versengen. Er entwickelte sich langsam zu einer Mimose. Gott sei Dank war Euer Großvater wieder normal und leistete sich keine weiteren Schwächeanfälle. Er träumte nun davon, mit einer Dressurnummer für Leo im Zirkus aufzutreten. Alle Zuschauer sollten spezielle Schielbrillen bekommen damit sie ihn und seine Tapferkeit bewundern konnten. Ich ließ ihn träumen. So wie ich es auch tat….. Männer sind behaart und haben Muskeln. Und dürre Heringe gehören aller höchstens in die Pfanne!

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